Seitdem ich in Island lebe, habe ich keine Angst mehr vor dem Zahnarzt. Die Atmosphäre in der Praxis, in die ich gehe, ist herzlich wie in einer griechischen Großfamilie. Ich werde mit Hallo und Handschlag begrüßt und schaffe es gerade, meine Schuhe auszuziehen (das macht man hier so), bevor ich hinein gerufen werde. Schwestern und Ärzte erinnern sich an ihr Schuldeutsch, ich versuche mich auf Isländisch, und wenn nichts mehr geht, wechseln wir zu Englisch. Neulich war ich wieder da. Während ich auf der Liege lag und Lisa mich von Kinn bis Fuß in eine Decke hüllte (Ist ja so kalt heute), erschien Börkur, der Zahnarzt, hinter meinem Rücken und rief:
"Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Dass ich so traurig bin; Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Kennst du das?" "Chaaah", erwiderte ich, weil Lisa bereits an meinen Zähnen zugange war. Börkur warf einen Blick in meinen offenen Mund, klopfte mir auf die Schulter und sagte fröhlich: "Ich habe keine Angst". Damit meinte er, glaube ich, dass alles in Ordnung war. Nachdem ich für Zahnpflege und Loreley bezahlt hatte, schmetterte mir die freundliche Rezeptionistin "Fröhliche Weihnachten" hinterher, dem ich mit einem zünftigen "Gleðileg jól!" begegnete. Ich hatte nicht mit Börkur gerechnet. Der saß neben einer Patientin im Wartezimmer und rief: "Die Luft ist kühl und es dunkelt. Und ruhig fließt der Rhein!" Ich winkte und floh, sprachlos. Und falls sich jetzt jemand fragt: Das ist wirklich passiert. Wir sind bei weniger als fünf Stunden Licht angekommen. Das Licht verdient seinen Namen überhaupt nur, wenn die Sonne scheint. Gestern schaffte ich es, einige Bilder aufzunehmen, bevor meine Kamera und ich uns dem Dauerfrost beugen mussten. Aber wie man sieht, kann man jetzt direkt in die Sonne fotografieren.
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Juli 2022
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