Die Sonne verbrennt uns die Ohrläppchen, der Wind braust durchs Haar, und die Luft schmeckt salzig. Am ersten Tag sind wir fast allein auf dem Küstenpfad, der uns in vier Tagesetappen von Porto Covo nach Odeceixe führt. Der Fishermen’s Trail an Portugals Westküste ist Teil der Rota Vicentina und so wunderschön, dass ich am ersten Tag einen steifen Hals vom ständigen Nach-Rechts-Gucken kriege. Immer wieder bleiben wir stehen und starren uns die Augen aus dem Kopf. Sand, Sand, SandDer Weg ist eine sandige Angelegenheit. Die erste Etappe laufen wir 20 Kilometer im losen Sand. Wir überstehen sie besser als erwartet, auch dank unserer Gamaschen. Ab dem zweiten Tag nehmen wir es nicht mehr so genau mit dem Sandschutz und sind überrascht, dass es auch so geht. Man sollte vielleicht nicht immer so viel lesen. Sturmsichere Storchennester und FischerAuf den Klippen an der stürmischen Atlantikküste nisten Weißstörche. Tapfer verteidigen sie ihre Jungen vor gierigen Raubmöwen. Warum der Sturm die Nester nicht einfach wegfegt, ist mir ein Rätsel. Immer wieder sehen wir auch die Fischer. Es sind vor allem ältere Männer, die dort oben auf den Klippen sitzen und ihre meterlangen Angeln in die stürmische Brandung halten. Später lese ich, dass es Rentner sind, die sich mit dem Fischen ein notwendiges Zubrot verdienen. Also nichts mit Romantik. Korkeichen und Olivenbäume Unsere erste Etappe endet in Vila Nova de Milfontes am Rio Mira. Als wir am Morgen über die Brücke gehen, haben wir einen Ausblick auf Flussmündung und Küstenort. Danach müssen wir ein langes Stück an einer öden Straße entlang, bevor wir nach rechts in einen Buschwald aus Korkeichen und Olivenbäumen einbiegen, der oberhalb des Flusses entlang führt. Später erfahren wir, dass es auch ein Boot gibt, mit dem man über den Fluss setzen kann. Ich kann mich von dieser Information den ganzen Tag lang nicht erholen. An diesem Tag entfernen uns etwas von der Küste. Es riecht nach Thymian, Rosmarin und Pinien. Und überall sind die Mimosen. Tosta Mista und Zucker-HighUnser Frühstück besteht in der Regel aus Kaffee, Tosta Mista und Kuchen. Tosta Mista ist ein gegrilltes Schinken-Käse-Brot, das es in Portugal in jedem Café gibt. Man isst es morgens, mittags und abends. Der Kuchen danach ist so süß, dass ich die erste Stunde im Zucker-High wandere. Eine Waldmaus namens PaulaAm dritten Tag wird der Sand rötlich, wir treffen eine süße Waldmaus und taufen sie Paula. Vor Zambujeeir do Mar kommen wir an einem Fischerhafen vorbei, und dann laufen wir an einer geraden kilometerlangen Straße entlang, die rechts von einem Trimm-Dich-Pfad gesäumt wird, der hier irgendwie nicht hinzugehören scheint. Jedenfalls sehen wir keinen einzigen Trimmdicher. Ich gucke ständig verstört aufs Handy, weil es nicht müde wird, mir mitzuteilen, dass unsere Unterkunft in einem anderen Zambujeira do Mar sechzig Kilometer entfernt liegt. Aber die Unterkunft ist da, wo sie hingehört und liegt auch noch direkt über einem hinreißenden Strand. Ziel OdeceixeWir sind mittlerweile so gut eingelaufen, dass wir für die letzte Etappe nur noch wenige Stunden brauchen. Möglicherweise liegt es auch daran, dass wir nicht mehr so oft stehen bleiben. Wir haben uns an die Pracht gewöhnt. Als wir am Strand von Odeceixe ankommen, halten wir doch noch mal an und genießen ein langes letztes Mal die Aussicht.
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Ich empfehle Island im Dezember. Am besten fliegt man am 7. Dezember ab Hamburg. So gegen 13 Uhr. Dann ist es noch hell, wenn man ankommt. Über Island dreht der Pilot die Ehrenrunde über den Öræfajökull – oder über irgendeinen anderen Vulkan, der gerade kurz vor dem Ausbruch steht. Am Flughafen in Keflavík steigt man in den Flybus, findet den letzten freien Platz und beginnt ein Gespräch mit der eleganten Isländerin am Fenster, die sich als die Frau Konsul in Wien herausstellt. Die fünfundvierzig Minuten vergehen dann wie im Flug. Kommt man in Reykjavík gegen 17 Uhr an, ist die Sonne weg. Nur ein fetter orange-roter Streifen hängt am Horizont. Jetzt kann man sich überlegen, ob man noch ins Schwimmbad geht oder gleich in die Stadt, um Freunde auf ein Bier zu treffen. Man kann auch beides machen, was ich empfehle. Nach dem Bier sollte man dringend der Versuchung widerstehen, quer über den gefrorenen Tjörnin zu laufen. Der Stadtteich ist zwar nicht tief, aber wer will schon bei Minusgraden knietief im Wasser stehen. Am nächsten Tag fällt die Temperatur auf minus 7 Grad. Das ist immer so. Die Sonne geht um halb elf auf, und es ist einer dieser seltenen windstillen Tage. Fürs Joggen in diesen Temperaturen empfehlen sich lange Unterhosen. Vergisst man die, spürt man noch mindestens eine Stunde nach dem Laufen seinen Hintern nicht. Niemand weiß, wie die Winterschwimmer überleben, die in Nauthólsvík aus dem kalten Atlantik steigen und in Badehose über den Strand laufen. Auch am Samstag und Sonntag scheint die Sonne. Immer. Und es wird noch kälter. Am besten verbringt sich so ein Wochenende in Húsafell. Auf dem Weg dorthin kehrt man in die Geirabakari in Borganes ein, isst eine Kleina zum Kaffee und guckt über den Fjord. Später wirft man fix einen Blick auf die Hraunfossar und den Bjarnafoss. Bei dieser Kälte sind dort kaum Touristen. In Húsafell mietet man sich eine Hütte, groß genug für fünf. Dort sitzt man nach dem langen frostigen Spaziergang im 40 Grad warmen Hot Pot, taut die tauben Zehen auf, trinkt viel Gin Tonic, starrt zur Milchstraße hinauf und erfindet das erste Kapitel eines Arztromans, dessen Fortsetzungsreihe das Autorenkollektiv reich machen wird. Dass Chuck Norris Eyjafjallajökull auch rückwärts sagen kann, erfährt man zwar erst später, aber das passt hier gerade wirklich gut rein. Zurück in Reykjavík, kann man die üblichen Sachen machen: auf Blitzeis schlittern, die Stiefel für die Jólasveinar rausstellen und drei Pfund Blaubeerskyr essen.
Beim Wandern sind es die kleinen Begegnungen, die lange in Erinnerung bleiben. Der Mann im Minirock auf dem Moselsteig. Das Ehepaar in den isländischen Ostjforden, das dort mitten im Nirgendwo in dieser winzigen roten Nothütte saß und seinen 21. Hochzeitstages mit einer Flasche Sekt feierte. Diesmal treffe ich am Ziegelsee, einem Außensee des Schweriner Sees, einen Hamburger, der aus den Masuren stammt, und der mir sein hellblaues Ferienhaus zum Übernachten anbietet. Kostenlos. Weil er sowieso nie Zeit hat zu bleiben. Will nur noch die letzten Walnüsse einsammeln und den Rasen mähen. Und dann erzählt er mir noch schnell, wer hier alles wohnt: der beste Chirurg Hamburgs da drüben, und hier in dem Finnhaus die pensionierte Managerin. Ich nicke beeindruckt und lehne das Übernachtungsangebot freundlich ab. Ich bin ja erst seit zwei Stunden unterwegs an diesem ersten Tag meiner Rundwanderung um den Schweriner See. Erste Station Lübstorf. Ein kleines, freundliches Hotel mit Enten im Garten und den üblichen Verdächtigen auf der Speisekarte: Soljanka, Würzfleisch, Schwedeneisbecher. Ich bestelle Gulasch und danach den Schwedeneisbecher und bin enttäuscht, weil mir das Original aus Kindertagen nicht mehr so gut schmeckt. Je weiter ich am zweiten Tag in Richtung Norden laufe, umso einsamer wird es. Nur die Schwäne am Seeufer und das leise Knarren meiner Rucksackträger unterbrechen die Stille. Überhaupt ist das Naturschutzgebiet Döpe an der Spitze des Sees ein Traum. Als ich um die Spitze herumgelaufen bin und in dem Ferienpark in Dobin ankomme, wo ich eine Hütte ganz für mich allein habe, treffe ich wieder Menschen. Auf der Terrasse trinke ich in der Abendsonne ein Glas Rotwein und fühle mich sauwohl. Am dritten Tag kommt der lang vorhergesagte Regen. Und er meint es ernst. Nach zwei Stunden sind die Schuhe durch. Ich beschließe, die Abkürzung zu nehmen, biege auf halbem Wege ab und laufe über eine Halbinsel nach Wickendorf. Dort hört der Regen auf, ich pelle mich aus der Regenkleidung und laufe entspannt an der Westseite des Sees zurück nach Schwerin.
Meine Wanderschuhe trocknen allerdings immer noch. Der Autor unseres Wanderführers ist ein Romantiker. Auf unseren sieben Etappen des Moselsteigs „schreiten wir kleinere Taleinschnitte aus“, „wandern, von der bizarren Felslage beeindruckt, mit vollem Herzen durch den Wald hinauf“ und „sind vom Burgblick überwältigt, während unsere Augen auf der Reichsburg ruhen“. Und sie ruhten. Und staunten. In 33 Grad oberhalb eines Weinbergs zu laufen, ist nicht romantisch. Man staunt nicht mehr, man leidet. Pralle Sonne, null Schatten, und die Schieferwand neben uns strahlt die Hitze doppelt wieder ab. Die ersten Tage werden zur Bewährungsprobe. Aber irgendwie kommen wir die Berge hoch und wieder runter, hangeln uns auf schmalen Pfaden an Steilhängen entlang, bewältigen Klettersteige und Aufstiege mit Halteseilen und sehen dabei noch ganz passabel aus. Allerdings gibt es dafür kaum Zeugen - bis auf die einzigen beiden anderen Wanderer vielleicht, die wir am ersten Tag treffen: „Und wir dachten, wir seien die einzigen Bekloppten bei dieser Hitze“. Wir treffen das Paar auf den ersten vier Abschnitten immer wieder, und irgendwann stellt sich heraus, dass sie auch in Bergedorf wohnen. Gleich vier bekloppte Hamburger auf dem Moselsteig. In Cochem tanzt am Samstag der Bär. Der schmucke Ort, über dem die Reichsburg thront, wird am Abend zum Ballermann der Mosel. Während wir mit einer Flasche Wein erschöpft am Ufer sitzen, dreht sich vor uns ein Tanzschiff im Kreis. "Wohl dem, der mit leichtem Gepäck gesegnet ist."Auf unserer Etappe nach Moselkern nehmen wir teil an der „stimmungsvollen Eroberung einer der bekanntesten deutschen Burgen.“ Doch zunächst müssen wir auf einem steilen und schmalen Pfad zur Hangkante hoch. „Wohl dem, der mit leichtem Gepäck gesegnet ist“, sagt der Romantiker. Wir sind es nicht, fluchen und ignorieren die vielen Buchsbaumbüsche, von denen im Wanderführer die Rede ist. Irgendwann zwischen Moselkern und Löf hat man den Blick auf Hatzenport und eine vorgelagerte Insel. Wir konsultieren den Wanderführer und finden heraus, dass auf dem dortigen Campingplatz die Schlaffindungsphase von eindrucksvollen Froschkonzerten akustisch begleitet wird. Das Wort begleitet uns bis zum Schluss. Auf unserer fünften Etappe von Löf nach Kobern-Gondorf verschlechtert sich das Wetter. Der Romantiker behauptet, dass die Moselgoldbrücke den Wanderer trockenen Fußes ans andere Ufer nach Kobern-Gondorf bringt. Wir geraten auf der Brücke in einen Platzregen, der unsere Wanderschuhe fast zum Überlaufen bringt. Und so wandern wir unsere vorletzte Etappe statt in den jetzt rutschigen Steilhängen lieber unterhalb der Mosel. Dort erwischt uns das Gewitter trotzdem, aber wir finden ganz unromantisch Schutz unter einer Autobahnbrücke. Als wir am Pfingstsonntag in Koblenz ankommen und zum Deutschen Eck laufen, fühlen wir uns etwas fremd zwischen den Bustouristen, die an der Mosel entlang spazieren. Wir flüchten in ein Café, und ich probiere die lokale Sachertorte.
Dafür, dass ich keine Großstädte mag, lebe ich verdächtig oft in ihnen. Selbstverleugnung? Möglich. Aber ich habe es mir nie wirklich ausgesucht. Entweder war die Liebe dort oder die Arbeit. Neulich morgen fuhr ich mit der S-Bahn zur Arbeit. Ich quetschte mich auf einen Fensterplatz und entschuldigte mich bei der Frau gegenüber, gegen deren Schuhspitzen ich gestoßen war. Neben sie setzte sich etwas übel zugerichteter Mann um die sechzig. Löcher in den Hosen, zerrissener Jackenärmel, langes, ungewaschenes Haar, verkrustetes Blut auf den Fingerknöcheln. Die Frau rückte nach rechts. Im Wagen herrschte eine schläfrige Stimmung. Jeder war mit sich selbst beschäftigt. Lesen, Handy, kurz-noch-mal-die-Augen-zu. Ich zog die Zeitung aus dem Rucksack. Da ging schräg hinter mir ein Gespräch los. Zwei Frauen mit Koffern. Eine um die fünfzig, die andere jünger. Sie sprachen so laut, als säßen sie sich nicht direkt gegenüber, sondern jede am anderen Ende des Wagens. Der Mann mit den blutverkrusteten Fingerknöcheln sah verärgert hoch. „Quack-quack-quack“, brummte er und wackelte im Takt mit dem Kopf. „Quack-quack, quack-quack, quack-quack!“ Ich versuchte zu lesen. Die Frauen wechselten zu Englisch, was jedoch nicht die Lautstärke minderte, sondern nur die Qualität der Sprache. Ich wünschte mir einen Schlechte-Laune-Fresser. Der Mann ging zum Gegenangriff über. Umständlich holte er ein Handy aus der Jackentasche, fummelte daran herum und schnaufte triumphierend, als blecherne Musik ertönte. Dann drehte er die Lautstärke hoch. Die Frauen wurden lauter, um die Musik zu übertönen, wechselten wieder zu Deutsch. Der Mann drehte weiter auf. Ich schlug die Zeitung zu und floh. Dafür gibt's hier gute Werbung für Spießer.
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