Eine Autofahrt von Reykjavík nach Ísafjörður ist nichts für Ungeduldige. Nach der Hälfte der Strecke geht unsere Reise eigentlich erst los. Wir müssen noch sechs Fjorde umfahren und haben bereits das Gefühl, nie anzukommen. Doch wie es sich lohnt. In Skötuförður flätzen sich Seehunde träge auf einer Sandbank und am Ende des Hestfjörður zieht eine Schule Grindwale an uns vorbei. Ich habe meine Kamera vergessen und ärgere mich. Die Seehunde verschwimmen im Zoom des iPhones und für die Wale bin ich nicht schnell genug. In Ísafjörður angekommen, gehe ich erstmal ins Schwimmbad. Das Becken ist nicht sehr lang und auch, anders als in Island meist üblich, drinnen. Dafür habe ich es für mich allein. Nach dem Schwimmen sitze ich im heißen Topf und schwatze mit einem finnischen Käpt'n, einem belgischen Segler, der den Sommer im Hafen von Ísafjörður verbringt, und einer bayerischen Vielreisenden, die gerade aus Grönland zurückgekehrt ist. Die einzigen Isländer im Bad ist der junge Mann an der Kasse, der mir, da bin ich schon halb aus dem Bad raus, hinterher läuft und mir mein Portemonnaie in die Hand drückt. Auffordernd starrt er dabei auf mein Hosenbein, und mir wird plötzlich klar, dass unter dem noch das Gummiband mit der Marke hängt, das ich im Austausch für mein Portemonnaie bekam. Ich entschuldige und bedanke mich, aber er winkt lachend ab. Ich bin offensichtlich nicht die Erste. Ísafjörður (Eisfjord) ist die größte und wichtigste Stadt der Westfjorde. Sie liegt am Skutulsfjörður zwischen zwei schroffen Bergen, dem Eyrarfjall und dem Kirkjubólsfjall. Im Winter sehen die Menschen zwei Monate lang die Sonne nicht. Der erste Siedler, der etwa im Jahre 920 kam, hieß Helgi Hrólfsson und nannte den Fjord Skutulsfjördur, nachdem er dort am Strand eine Harpune (isländisch skutull) gefunden hatte. Ísafjörður hat ein Universitätszentrum, eine Musikschule, ein Kino, eine Kunst-Galerie und einen Buchladen und erstaunlich viele Restaurants, eines davon mit einem exzentrisch-saisonalen Angebot. Und die Katzen hier sind mindestens genauso exzentrisch. Am nächsten Tag regnet es in Strömen. Ísafjörður ist leergefegt, die Touristen flüchten sich in Cafés und wir hinter unsere Arbeit am Computer. Erst am Tag darauf kommt die Sonne heraus. Wir verbringen den Nachmittag in Þingerey am Dyrafjörður. Dorthin fährt man durch einen einspurigen Tunnel. Die Autos, die uns entgegen kommen, haben Vorfahrt, und so rollen wir von Haltebucht zu Haltebucht. In Þingerey absolvieren wir das Standardprogramm: Wanderung am Fjord, Blaubeerenpflücken im Haukadalur und belgische Waffeln und heiße Schokolade im Simbahöllin Café. Wir erfahren, dass heute der wärmste Tag des Jahres in Island ist (15 Grad für uns). Wir sitzen draußen, reiben uns die Blaubeerflecken von den Händen und schlürfen die Schlagsahne von der Schokolade. Am nächsten Tag fahren wir nach Bólungarvík, eines der ältesten Fischerdörfer Islands. Auf dem Weg machen wir Halt in Hnífsdalur (Messertal), laufen ins Tal und treffen ein paar Pferde. Sie halten das iPhone für Futter und stupsen mich ungeduldig an. In Bolungarvík entdecken wir das charmante Einarshús, ein Café, Restaurant und Gästehaus. Wir sind die einzigen Gäste in der Kaffeestube und studieren die Familienbilder, die dort hängen. Dabei wird unser Kaffee kalt. Die Geschichte des Einarshús steht für Trauer und Freude. Pétur, der erste Besitzer, musste in dreiundzwanzig Jahren 14 seiner Familienangehörigen begraben. Einar, der danach das Haus übernahm, lebte dort zufrieden mit seiner großen Familie. Zwei Tage später sind wir wieder dem Rückweg nach Reykjavík (mittlerweile stürmt und schneit! es in Ísafjörður). Aber wir wollen noch nicht gleich nach Hause und machen einen Abstecher nach Látrabjarg, dem westlichsten Punkt Islands. Der Weg führt uns über Schotterpisten und Bergpässe, nichts für empfindliche Mägen und Höhenängstliche. Hin und wieder überholen wir Touristen in Mietwagen, die sich etwas verkrampft und im Schneckentempo von Schlagloch zu Schlagloch kämpfen. Der Trick ist die Geschwindigkeit. Ab 70 km/h spürt man die Unebenheiten kaum noch; man gleitet sozusagen über sie hinweg. Ich musste das auch erst lernen.
Mittlerweile sind wir zurück in Reykjavík, packen aus und packen wieder ein. Am Dienstag geht es für uns wieder nach Berlin, vorübergehend zumindest.
2 Kommentare
Die letzten beiden Wochen war was los. Ein Sturm riss uns fast das Dach vom Haus, ließ Trampoline und Mülltonnen fliegen und entwurzelte Bäume und Touristen. Zwei todesmutige Schweizer blieben in ihrem Kleinwagen im Hochland stecken und mussten vom Rettungsdienst ausgegraben werden. Nichts für Hosenscheißer, die Straße ist im Winter gesperrt. Der Tannenbaum aus Hamburg trotzte dem Sturm, ein echter Hamburger Jung sozusagen. Jedes Jahr schenken uns die Hamburger einen Weihnachtsbaum und bedanken sich so für die Hilfspakete, die die isländischen Seeleute an die Hamburger Bevölkerung nach dem Ende des 2. Weltkriegs verteilten. Der Osloer Jung, der auch jedes Jahr kommt und vor dem Parlament steht, ist dagegen abgeknickt. Ersetzt wurde er mit einem lokalen Verwandten (vermutlich nicht ganz so groß). Am Tag nach dem Sturm braute sich gleich wieder ein neuer zusammen. Anschließend kam der Schnee. Dann braucht man beim Autofahren gute Reifen und ein schnelles Reaktionsvermögen. Neulich musste ich zweimal scharf bremsen, weil erst eine Katze und danach ein Radfahrer vor meinem Kotflügel vorbei rasten, beide ohne Licht. Die Katze sah ich heute wieder, ich glaube, es war die gleiche. Sie hatte diesen arroganten Blick. Sie und ich blinzelten in die tief stehende Sonne, die heute zum ersten Mal seit Tagen wieder schien. Nachdem die Sonne nach ein paar Stunden wieder untergeht, übernimmt das künstliche Licht. Daran herrscht hier im Winter kein Mangel. Mit diesem Phänomen hat sich auch der Fotograf Stuart Richardson beschäftigt. Drei Jahre lang untersuchte er, wie die Straßenbeleuchtung die isländische Landschaft beeinflusst. Das Ergebnis sind einzigartige Fotografien, die Stuart gerade als Buch "Sodium Sun" veröffentlicht hat. Ich war gestern auf der Buchparty, ein bisschen stellvertretend auch für meine Tochter Christine, die das Buch gestaltet hat und gerade in Berlin festsitzt. Mal ein bisschen Werbung machen hier. Einige von Stuarts Bildern kann man sich hier ansehen.
Es beginnt in der Regel gegen 11 Uhr. Ein hungriges Schreien, wie ich es nie zuvor gehört habe. In den ersten Tagen beschlossen Þráinn und ich, es zu ignorieren. „Wir können nicht jede Katze im Dorf füttern“, sagten wir und bemühten uns um eine feste Stimme. Nach zwei Tagen hatte er uns weich gekocht. Er ist ja noch so klein, ein richtiges Baby.
Die ersten Male fütterten wir ihn vor der Tür. War das ein Drama. Er riss das Fleisch vom Teller und zischte ab. Sekunden später kam er wieder, und das Ganze wiederholte sich. Schnapp, weg, schnapp. Danach ließen wir das Tor auf und stellten das Futter in den Hof. Unser hungriger Freund näherte sich vorsichtig, ängstlich, und nachdem er den ersten Bissen Thunfisch im Maul hatte, raste er aus dem Tor. Das wiederholte sich mehrere Male. Dann verstand auch er, dass dies eine aufwendige Art ist, sich zu ernähren, und er aß sich in Ruhe satt. Seitdem klingt sein Schreien nicht mehr so durchdringend. Seitdem sieht er besser aus. Jetzt erkundet er auch schon mal den Hof. Neulich tippte er die Kombination 1, L, Ö in Þráinns Computer, danach kletterte er auf den Zitronenbaum, was ihm aber nicht behagte. Dass ein Zitronenbaum lange spitze Dornen hat, wusste ich bis dahin auch nicht. Heute erklomm er den Weinstock und hatte keine Ahnung nicht, wie er wieder herunter kommen sollte. Mit jedem Tag wird es schwieriger, ihn wieder zum Gehen zu überreden. Mit jedem Tag finde ich, sieht unser namenloser Freund besser aus. Die Entzündungen um seine Augen sind fast verschwunden, und er wirkt beinahe wohlgenährt. Die Frage ist: was passiert mit ihm, wenn wir abreisen? Das erste, was dem Besucher in Lindos auffällt, sind die streunenden Katzen. Sie werden von Touristen gefüttert (auch von uns), und viele (Katzen) werden angeblich nach Ende Oktober mit Unkrautvernichtern vergiftet. Bisher deutet nichts darauf hin. Wahrscheinlich ein Gerücht. Das malerische und uralte Lindos liegt an der Ostküste von Rhodos. Im Sommer ist der Ort überlaufen, im November hingegen beinahe leer. Zwei, drei Restaurants öffnen am Abend, zwei kleine Läden verkaufen Brot, Früchte, Käse, Wein und Zahnpasta, und nur selten schnattert Mittags eine Gruppe italienischer oder deutscher Touristen durch die engen, kurvigen Gassen. Ansonsten ist es still. Und warm. 20 Grad, Sonnenschein, isländischer Hochsommer. Einige streunende Hunde treiben sich außerhalb des Ortes herum, und so hatte ich gestern ein etwas klammes Gefühl, als ich zum ersten Mal an der Straße entlang allein in Richtung Pefkos joggte. Ich sah jedoch nur Esel, frei laufende Ziegen und aufrechte Daumen, die sich neben mir aus herunter gekurbelten Autofenstern heraus streckten. Die erwähnten Esel nennt man hier übrigens Lindos-Taxis. Man kann auf ihnen auf die Akropolis reiten. Auf der waren wir heute (zu Fuß) und blickten hinab auf Dorf und Meer. |
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Juli 2022
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