Jæja. Zurück am 64. Breitengrad. Knackige Minusgrade und eine dicke Schicht Schnee. Das Wetterbüro sagt für die nächsten Tage bis -30 Grad in einigen Teilen Islands voraus. Das Land wird endlich seinem Namen gerecht. Ich finde keine Überleitung und wechsle abrupt. Þráinn und ich sprachen über Shakespeare. "Du hast nie Hamlet im Original gelesen?", fragte er. Ich schüttelte den roten Kopf und erinnerte daran, dass ich schon neulich bei dieser King-Lear-Aufführung nur die Hälfte verstanden hatte. Das alte Englisch ... "Lesen ist einfacher", bekam ich zu hören. "Stell dich nicht so an." Ich stellte mich nicht so an, schnappte mir mein Kindle und fand, wonach offenbar auch andere Ungebildete gesucht hatten, denn es erschien an erster Stelle: "Hamlet In Plain And Simple English". Jeder Dialog im Original und in modernes Englisch übersetzt. Und das liest sich so: Original: You come most carefully on your hour. Translation: You are late. O: Nay, answer me: stand, and unfold yourself. T: No, you answer me. Identify yourself. O: In that and all things will we show our duty. T: We will do our best. O: Bernardo, is that you? T: Bernardo? In other news: Zwei Gläser starken isländischen Weihnachtsbiers (jólabjór) führten heute morgen gegen 1 Uhr dazu, dass ich in Todesmut den gefrorenen tjörn (Stadtteich) überquerte. Zum Glück war ich nicht allein, zum Glück brachen wir nicht ein. Als ich heute Mittag wieder am Teich vorbei kam, sah ich noch immer unsere Fußspuren im Schnee. Heute Mittag entstanden auch die Bilder. Die Enten und Schwäne veranstalten ein solches Spektakel, das man annehmen könnte, dass auch sie hin und wieder vom jólabjór kosten. Oder Shakespeare im Original lesen. Auf dem Weg zum tjörn kam ich am alten städtischen Friedhof vorbei. Der ist zu jeder Jahreszeit bezaubernd.
Most humbly do I now take my leave, my friends. Zurück zu Hamlet.
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Es beginnt in der Regel gegen 11 Uhr. Ein hungriges Schreien, wie ich es nie zuvor gehört habe. In den ersten Tagen beschlossen Þráinn und ich, es zu ignorieren. „Wir können nicht jede Katze im Dorf füttern“, sagten wir und bemühten uns um eine feste Stimme. Nach zwei Tagen hatte er uns weich gekocht. Er ist ja noch so klein, ein richtiges Baby.
Die ersten Male fütterten wir ihn vor der Tür. War das ein Drama. Er riss das Fleisch vom Teller und zischte ab. Sekunden später kam er wieder, und das Ganze wiederholte sich. Schnapp, weg, schnapp. Danach ließen wir das Tor auf und stellten das Futter in den Hof. Unser hungriger Freund näherte sich vorsichtig, ängstlich, und nachdem er den ersten Bissen Thunfisch im Maul hatte, raste er aus dem Tor. Das wiederholte sich mehrere Male. Dann verstand auch er, dass dies eine aufwendige Art ist, sich zu ernähren, und er aß sich in Ruhe satt. Seitdem klingt sein Schreien nicht mehr so durchdringend. Seitdem sieht er besser aus. Jetzt erkundet er auch schon mal den Hof. Neulich tippte er die Kombination 1, L, Ö in Þráinns Computer, danach kletterte er auf den Zitronenbaum, was ihm aber nicht behagte. Dass ein Zitronenbaum lange spitze Dornen hat, wusste ich bis dahin auch nicht. Heute erklomm er den Weinstock und hatte keine Ahnung nicht, wie er wieder herunter kommen sollte. Mit jedem Tag wird es schwieriger, ihn wieder zum Gehen zu überreden. Mit jedem Tag finde ich, sieht unser namenloser Freund besser aus. Die Entzündungen um seine Augen sind fast verschwunden, und er wirkt beinahe wohlgenährt. Die Frage ist: was passiert mit ihm, wenn wir abreisen? Nach drei Tagen Regen und Sturm und vielen Stunden am Schreibtisch (wir machen schließlich keinen Urlaub hier) beschlossen wir gestern, uns etwas Gutes zu tun. Wir fuhren nach Rhodos Stadt - in der Annahme, es würde am Abend einen Bus zurück nach Lindos geben. Pustekuchen. In Rhodos erfuhren wir, dass der Bus, mit dem wir gekommen waren (14.30), der letzte war. Wir blieben trotzdem.
In den Gassen der Altstadt fühlten wir uns um Jahrhunderte zurück versetzt, und nur das Knattern der Motorroller riss uns zurück in die Gegenwart. Wir fragten uns, wozu die Torbögen zwischen den Häusern dienten (zum Abstützen doch wohl kaum). Am Platz der jüdischen Märtyrer saßen wir auf der sonnigen Dachterrasse eines Restaurants, tranken Weißwein, und in meinen geschmorten Paprikaschoten befand sich etwas, das wie aufgewärmter Labskaus schmeckte, thankyouverymuch. Selber schuld: wer geht schon in das erstbeste Lokal. Der Blick von oben war aber schön. Danach ein Spaziergang durch das türkische Viertel bis zur Süleymann-Moschee und von dort zum Hafen, wo mal der Koloss von Rhodos stand. Der fiel vor langer Zeit bei einem Erdbeben um. An seiner Stelle stehen jetzt zwei hübsche Rehe. Oder Hirsche. Interessant war die Rückfahrt im Taxi. In Rhodos gibt es an jedem großen Taxistand eine Tafel mit Orten und Preisen. Sehr angenehm nach unseren Erfahrungen in Istanbul, wo die gleiche Fahrt zwischen 8 und 35 türkischen Lira kostete (letztere wollten wir nicht bezahlen und wurden dafür auf halbem Wege aus dem Auto geschmissen). Der Taxifahrer (wir sind zurück in Rhodos) hielt unterwegs zweimal. Einmal um zu tanken und ein zweites Mal neben einem Olivenhain, der, wie er sagte, ihm gehörte und wo ein Auto parkte. „They are stealing my olives again“, schrie er, bremste mit quietschenden Reifen und riss die Autotür auf. „Be back in a minute!“ Damit verschwand er in der Dunkelheit zwischen Olivenbäumen. Ich musste an den Film von Friðrik Þór Friðriksson denken, den über den armen Japaner, der im Winter nach Island fliegt und dessen Taxifahrer in einem kleinen Ort in der Nähe des Flughafens anhält, um eine Stunde lang im Kirchenchor mitzusingen. Wir warteten nicht so lange, nur zehn Minuten. Zum Glück gab es diesen Festpreis. Die Diebe fasste der Taxifahrer nicht, dafür wurden wir auf der halbstündigen Fahrt nach Lindos über die wahren Gründe für die finanzielle Misere Griechenlands aufgeklärt. Das erste, was dem Besucher in Lindos auffällt, sind die streunenden Katzen. Sie werden von Touristen gefüttert (auch von uns), und viele (Katzen) werden angeblich nach Ende Oktober mit Unkrautvernichtern vergiftet. Bisher deutet nichts darauf hin. Wahrscheinlich ein Gerücht. Das malerische und uralte Lindos liegt an der Ostküste von Rhodos. Im Sommer ist der Ort überlaufen, im November hingegen beinahe leer. Zwei, drei Restaurants öffnen am Abend, zwei kleine Läden verkaufen Brot, Früchte, Käse, Wein und Zahnpasta, und nur selten schnattert Mittags eine Gruppe italienischer oder deutscher Touristen durch die engen, kurvigen Gassen. Ansonsten ist es still. Und warm. 20 Grad, Sonnenschein, isländischer Hochsommer. Einige streunende Hunde treiben sich außerhalb des Ortes herum, und so hatte ich gestern ein etwas klammes Gefühl, als ich zum ersten Mal an der Straße entlang allein in Richtung Pefkos joggte. Ich sah jedoch nur Esel, frei laufende Ziegen und aufrechte Daumen, die sich neben mir aus herunter gekurbelten Autofenstern heraus streckten. Die erwähnten Esel nennt man hier übrigens Lindos-Taxis. Man kann auf ihnen auf die Akropolis reiten. Auf der waren wir heute (zu Fuß) und blickten hinab auf Dorf und Meer. Regen wurde uns vorausgesagt, als wir beschlossen, im November nach Istanbul zu fliegen. Pah! Das Wetter ist hervorragend. Nur hier und da verhängt ein Wölkchen den Himmel, ansonsten herrschen Sonnenschein und angenehme 15 Grad.
Istanbul ist laut, hektisch, unordentlich. Autos gibt es gefühlt mehr als Einwohner. Die sind übrigens extrem freundlich und angenehm gelassen (die Einwohner, nicht die Autos). Das Essen ist fantastisch, der Wein eine Offenbarung, und beim türkischen Honig besteht Suchtgefahr. Moscheen gibt es hier ungefähr so viele wie Jeeps in Reykjavík. Und Angeln im Bosporus scheint eine Art Volkssport zu sein. Dies sind die Bilder der ersten zwei Tage. |
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Juli 2022
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