Wenn er über das Eis spricht, strahlt Bergführer Henrik. Er erzählt, wie sich Sólheimajökull ständig verändert. Wie sich die Vulkanasche durch die Gletscherspalten nach oben presst. Wie schön das Eis in der Sonne glitzert. "So beautiful!" Weite Armbewegung. Strahlen. Henrik zeigt auf einen Haufen Steine, Überreste der Felsen, mit denen sich die zwei Trollbrüder über die Schlucht hinweg bewerfen, wenn sie um die Trollfrau Katla kämpfen. So erklären sich auch die Erdbeben in der Gegend, natürlich. Sein Kollege Gummi (Guðmundur) knabbert derweil versunken an dem Stück Eis, das er aus der Eishöhle mitgebracht hat und lächelt leise. "Ice is nice!", ruft Henrik und strahlt noch ein bisschen mehr. Natürlich erzählen uns Gummi und Henrik auch, wie stark der Gletscher geschrumpft ist, in den letzten zwanzig Jahren um etwa tausend Meter. Drei Frauen im Eis. Sonnenbrand, Muskelkater, blaue Knie. Letztere holen wir uns beim Eisklettern. Auf typisch isländische Art wird gar nicht viel darüber geredet, sondern einfach gemacht. Henrik führt es strahlend vor, Gummi knüpft uns ans Seil, wir schlagen die Äxte und Steigeisen ins Eis, und hoch geht's.
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Ich wollte schon immer mal was übers Laufen schreiben. Murakami hat’s getan. Ich bin nicht Murakami, klar, der ist ja auch ein Mann, aber laufen kann ich. Und schreiben, ein bisschen. Ich schwatze. Aber jetzt geht’s los. Ich laufe, und alles, was ich dafür brauche, sind gute Laufschuhe. Und Spikes im Winter. Den Kram darüber kann ich teuer kaufen, muss ich aber nicht. Nicht dass Missverständnisse aufkommen, ich ziehe schon was an, auch Socken. Aber ich brauche weder Laufuhr, Musik im Ohr noch Trinkgurt. Ich brauche keine Lauf-App. Ich brauche keine Hanteln. Ich brauche nicht einmal Gesellschaft. Laufen ist Meditation, Entspannung, Kopf leer machen. Laufen macht glücklich. Sehr. Laufen macht hungrig. Noch mehr. (Ich sag' nur Erdnussbutter.) Das Schöne am Laufen: man kann es überall. Wohin ich auch fahre, die Laufschuhe sind immer dabei. Und Laufen in Island ist großartig – wenn es nicht gerade stürmt oder fies von der Seite regnet. Wenn mir nicht der Hagel aufs Gesicht pfeffert oder die Gischt mich durchnässt, ich nicht vornübergebeugt gegen den Sturm ankämpfen muss oder von einer Windböe über das Eis gefegt werde (passiert). Oder ich nicht schnell hinter den Busch muss (und keinen finde, weil HIER GIBT ES KEINE VERDAMMTEN BÜSCHE).
Fährt man in Island aufs Land, muss man sich auf was gefasst machen. Am Silvestertag kamen wir in unserer Hütte im Süden an, erleichtert, dass wir trotz Glatteis, Schneesturm und gefühlter Einzentimetersicht nicht im Straßengraben gelandet waren. Wir kühlten den Sekt, warfen den Hotpot an und ignorierten den nächsten Schneesturm, der sich bereits anbahnte. Das Interessante an Schneesturm im heißen Topf sind ja übrigens die Frostblumen an den Sektgläsern. Wirklich schön - wenn man sie noch erkennt, that is. Als wir sie nicht mehr erkannten und uns die Haare tiefgefroren vom Kopf abstanden, als wir merkten, dass der Wellengang im Topf nicht von uns verursacht wurde, als der schwere Deckel des Topfs plötzlich fies quietschte und uns auf den Kopf zu fallen drohte und als unsere Bademäntel, die an der Hauswand hingen, abhoben und über unsere Köpfe hinweg flogen, gaben wir auf. Wir flüchteten und stießen in der Hütte auf das neue Jahr an. Da war sie noch warm, unsere Hütte. In den letzten zwei Tagen ist ein frischer halber Meter Schnee gefallen. Wir gehen in den Fahrspuren der Jeeps spazieren und wärmen uns das Gesicht in der tief stehenden Wintersonne. Seit gestern sind Heizung und Warmwasser in der Hütte perdü, der heiße Topf damit natürlich auch. Vorhin verbrachte ich eine Stunde damit, unser Auto auszugraben. Das wärmt auch. Der Hausmeister, den wir wiederholt anrufen, versichert uns, dass es unseren Nachbarn auch nicht besser geht. Ich habe bisher noch keine gesehen. Ich stelle den Backofen auf die höchste Umluftstufe, öffne die Backofentür und bemerke, dass es gerade wieder anfängt zu schneien. Wir nehmen es gelassen. Þetta reddast.
Ich wünsche euch ein schönes und warmes neues Jahr. Ich leide schrecklich unter Jetlag. Schon ein paar Stunden Zeitunterschied bringen mich völlig aus dem Konzept. Mein Körper kommt in der neuen Zeit an, aber mein Kopf ist noch unterwegs, und so sehe ich tagelang aus wie Derrick auf Drogen. Bevor wir letzte Woche nach New York flogen, fiel mir der Artikel ein, den ich mal gelesen hatte und der grob zusammengefasst so ging: Weil unsere innere Uhr nach einem Transantlatikflug aus dem Takt ist, können wir Nachts nicht schlafen und sind tagsüber müde. Verzichten wir jedoch vor und insbesondere während der Reise aufs Essen und nehmen die erste Mahlzeit erst wieder zur richtigen Zeit am Ankunftsort ein, stellt sich unsere innere Uhr schneller um. Ich habe es ausprobiert. Ich flog hungrig nach New York, wartete bis zum Abendessen – und schlief tatsächlich nachts wie ein Baby. Ein fester Glaube half da sicher auch. Hungrig flog ich auch zurück, aber das half wenig: Jetzt es ist drei Uhr morgens in Reykjavík, und ich schreibe diesen Artikel. Aber ein halber Jetlag ist immer noch besser als ein ganzer. Übrigens, es hat sich ja gelohnt. Good show, New York City. Was für ein Blizzard! Todesmutig beschlossen mein isländischer Ehemann und die Isländerin in mir, den Jahrhundertschneesturm zu ignorieren, und gingen zu Mr. Turner ins Kino. Mit uns saßen zwei weitere Besucher im Saal, vermutlich aus Alaska. Als wir anschließend vorsichtig und in banger Erwartung die Hintertür des Kinos aufschoben, darauf gefasst, von einem Windstoß mitgerissen und über die Houston Street gefegt zu werden, passierte – nichts. Still und einsam lagen die Straßen vor uns. Ein paar Zentimeter Schnee waren gefallen, die hier und da von verspielten Windböen aufgewirbelt wurden. Statt uns vornüber gebeugt durch den Schneesturm zurück zu kämpfen, machten wir einen wunderschönen Spaziergang im verlassenen Washington Square Park. Blizzard-Romantik in New York. Auch am nächsten Vormittag, als wir durch NoHo gingen, war die Stadt noch nicht erwacht. Wir entdeckten Kunst, die wir zunächst für Mülltüten in Schnee hielten und gingen anschließend ins NoHo Star, wo es bekanntlich die besten Potatoe Pancakes der Welt gibt. Mit einigen Neujahrsvorsätzen ist es wie mit ungegessenen Bananen. Nach einer Woche werden sie fleckig und braun, und danach landen sie meistens im Müll. Mittlerweile gibt es sogar für Neujahrsvorsätze eine Website. Auf neujahrsvorsaetze.de trägt man drei Vorsätze ein und schickt sie an Prof. Dr. Knoblauch. Yep, der Mann heißt so. Im Gegenzug erinnert uns Prof. Dr. Knoblauch “sechsmal im Abstand von einer Woche mit einer kleinen Mail. Spaßig. Witzig. Und mit einem Augenzwinkern.” Und ja, das steht da auch so. Prof. Dr. Knoblauch hilft uns auch dabei, unserem inneren Schweinehund die Zähne zu ziehen (ich mag das Bild irgendwie). In der ersten Woche des neuen Jahres versuchen viele, ihrem inneren Schweinehund die Zähne ziehen. Das ist hier in Island nicht anders. Auf meiner Joggingrunde rennen plötzlich fünfmal so viele Leute. Mit langen Schritten und erhobenem Kinn hechten sie an mir vorbei, heben lässig die Hand und werfen mir triumphierende Blicke zu. Häufig treffe ich sie nach ein, zwei Kilometern wieder, das Gesicht schmerzverzerrt, die Hände in die Hüften gestemmt, asthmatisch keuchend. Ende des Monats sind die meisten wieder verschwunden. Ich habe mir für dieses Jahr ein realistisches Ziel gesetzt: Ich will weniger Schnee schaufeln. Ich habe im letzten Jahr genug geschippt. Nichts gegen Schnee. Schnee ist toll. Schnee bringt auch Spannendes zutage. Wie diese Spuren, die ich am Neujahrsmorgen entdeckte. Sie verliefen um die gesamte Hütte, in die wir uns über Silvester verzogen hatten. Ein Fuchs, ein Nerz? Der Schnee bescherte uns auch einen traumhaft schönen Neujahrsspaziergang am Hreðavatn. Und richtig, das Auto habe ich freigeschaufelt. Mit dem Ergebnis, dass die Schaufel zerbrach. Wie gesagt, mein diesjähriges Ziel ist realistisch. |
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Juli 2022
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