„Wie auf dem Jahrmarkt, gleich noch mal“, ruft Susanne und biegt scharf links ab, um zur zweiten Runde anzusetzen. An unserem letzten Tag in Lipari haben wir ein Auto gemietet. Zwar wussten wir, dass die Insel klein ist, aber wir waren nicht darauf gefasst, dass es nur fünfundvierzig Minuten dauert, einmal um sie herum zu fahren. Also noch eine Runde, wir müssen ja die Mietgebühr abfahren. Mit der Fähre verlassen wir Lipari am Karfreitag, der Abschied fällt uns ein bisschen schwer. Wir haben uns verliebt in diese knapp neunzig Quadratkilometer große Insel mit ihrem unaufgeregten Leben, ihrer Natürlichkeit und den unfassbar schönen Aussichten auf die Nachbarinseln Stromboli, Vulcano und Salina. Von Milazzo fahren wir mit der Regionalbahn an der Küste entlang nach Cefalù, die Liparischen Inseln dabei immer im Blick. Osterprozession in CefalúCefalù liegt am Fuße eines riesigen Felsens, Rocca de Cefalù. Wir verstehen sofort, warum die Stadt eine der schönsten Italiens ist, als wir durch die alten gepflasterten Gassen spazieren, unter Bogendurchgängen hindurch, hin zu einer hochromantischen Bucht (insbesondere nachts), an die sich ein kilometerlanger weißer Badestrand anschließt. In unserer Wohnung blicken wir von der einen Seite auf die Türme der prächtigen Kathedrale Santissimo Salvatore und von der anderen aufs Meer. Und wir dürfen sogar eine Osterprozession beobachten, insgesamt dreimal kommt sie an unserem Haus vorbei. Lost in TerminiMit einem Cinquecento brausen wir drei Tage später in den Südwesten – obwohl: Eigentlich brausen die Italiener, und zwar an uns vorbei, und das manchmal so eng, dass wir vor Schreck nach Luft schnappen. In Termini Imerese verlieren wir uns in einem Wirrwarr enger Gassen, von denen wir weder wissen, ob wir sie befahren dürfen, noch, ob unser kleiner Fiat überhaupt durch passt. „Oha“, ruft Susanne, die cool bleibt und wieder mal in eine irgendeine schmale Gasse einbiegt, während ich (weniger cool) versuche, uns aus dem Labyrinth heraus zu navigieren. „Einfach weiterfahren“, flüstere ich, als wir auf einem kleinen Platz landen, den Google Maps auch nicht kennt, und auf dem eine Gruppe Männer steht, die uns grimmig anstarren. Sizilien-Klischee, genau, aber so war‘s. Nach einer halben Stunde sind wir raus aus Termini, wischen uns den kalten Schweiß von der Stirn und fahren auf der Autobahn in Richtung Selinunte. Maximale Ineffizienz - angekommen in der AuszeitFast drei Wochen hat es gedauert, bis wir in unserer Auszeit richtig angekommen sind. Erst jetzt können wir die Tage sich entwickeln lassen und nehmen sie, wie sie kommen – ohne ständig das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Wir haben keine To-do-Listen abzuarbeiten, sondern gestalten unsere Zeit frei. Wir sind maximal ineffizient. Innere Unruhe, Anspannung oder Ängste sind verflogen. Wir schlafen mehr. Wir lachen mehr. Wir lernen andere Seiten an uns kennen. Soweit fühlt sich das ziemlich gut an.
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An unserem ersten Morgen auf Lipari werden wir vom lauten Tuten unserer Handys geweckt. Verschlafen starre ich auf den Bildschirm und die einzigen zwei Worte in Großbuchstaben, die ich entziffern kann: ALLARME und IMMINENTE. Bis wir kapiert haben, dass es sich um eine Übung für einen bevorstehenden Vulkanausbruch auf der Nachbarinsel Vulcano handelt, sind wir hellwach und auf den Beinen. Auch schön, draußen scheint die Sonne. Singvögel und OrangenAuf Lipari wohnen wir zunächst in einem Haus oberhalb der Stadt, mitten in der Natur. Meine Birds-App läuft zu Höchstleistung auf und meldet eifrig und in schneller Folge Wiedehopf, Star, Singdrossel, Gartengrasmücke, Buntspecht, Mauersegler, Gimpel, Kleiber, Türkentaube. Ein scheuer und offenbar streunender Hund hält Wache vor dem Eingang zum Haus, aber läuft ängstlich davon, sobald wir uns nähern. Zwei Orangenbäume stehen im Garten hinter dem Haus. Wir sammeln die reifen Früchte auf; sie sind kleiner als die, die wir zuhause kaufen, aber süß und saftig. Ruhe mit VollgasLipari ist ursprünglich, charmant, liebenswert und bei weitem nicht so touristisch wie Taormina. Hier scheint das Leben einem eigenen Rhythmus zu folgen. Die Menschen sind entspannt, freundlich und herzlich und schätzen es, wenn wir an ihnen unsere rudimentäres Italienisch testen. Es ist ruhig in der kleinen Stadt, doch kann der Lärmpegel binnen einer Sekunde von Null auf Hundert steigen, wenn plötzlich zwei Vespas mit Vollgas eine schmale Gasse hinauf jagen. Und schön, dass wir in der Vorsaison hier sind, wir können uns vorstellen, wie sich die verwinkelten Gassen im Sommer mit flanierenden Touristen füllen. Ein Hafen als WohnzimmerDie Marina Corta wird das Wohnzimmer Liparis genannt. Geschützt liegt der kleine Hafen unterhalb des Stadtfelsens Il Castello. Ein paar Fischer gehen ihrer Arbeit nach, in den Lokalen, in denen es fangfrischen Fisch gibt, herrscht wenig Betrieb. Noch sind wenige Gäste hier, nach Ostern soll sich das ändern, hören wir. Tindern analog – La PasseggiataIn Italien gibt es das Ritual des Abendspaziergangs, die Passeggiata. Wir erfahren, dass Lipari der beste Ort ist, dieses Ritual kennenzulernen. So zwischen Feierabend und Abendessen füllt sich der Corso Vittorio Emanuele, die Shoppingstraße Liparis, mit Spaziergängern, alle darum bemüht, gut auszusehen. Die Passeggiata ist sowas wie eine Partnerbörse, nur analog. In Grüppchen spazieren die meist jugendlichen Einwohner den Corso herunter und werfen sich interessierte Blicke zu, während die Alten am Rand das Geschehen amüsiert und interessiert beobachten. Wandern mit AusblickLipari entpuppt sich als Wanderparadies. Am ersten Tag steigen wir auf zum Monterosa und genießen den Blick auf Stromboli. Auch die Wanderung zum alten Observatorium an der Südspitze Liparis ist ein Erlebnis. Wir sehen Vulcano und den rauchenden Krater, die davor liegende Insel Vulcanello und dahinter den Ätna.
Taormina ist klein und überschaubar. Nach drei Tagen sind wir die Sehenswürdigkeiten abgelaufen, zweimal auf die beiden Berge geklettert, die man von hier erreichen kann, und zur Küste hinab gestiegen. Heute, am Tag sechs, stellen wir fest: Taormina ist zu klein für unseren Bewegungsdrang. Es ist wohl nun an uns, uns zu entspannen und uns dem Dolce Far Niente hinzugeben. In Taormina verlaufen wir uns sofort, auch Google Maps und Komoot verzweifeln an den engen, verschlungenen Gassen. Lass uns streuseln, sagt Susanne, also packen wir die Handys ein und "streuseln". Und Taormina verzaubert: schmale Treppengassen, blumengeschmückte Fassaden, romantische Plätze. Wie ein großer Balkon hängt die Stadt einige hundert Meter hoch über der Küste und liefert einen phantastischen Blick über das Meer und zum beeindruckenden Ätna. Aufstieg nach CastelmolaIn und um Taormina geht es eigentlich immer nur bergauf oder bergab. Wir steigen auf nach Castelmola, ein Dorf in 500 Meter Höhe oberhalb von Taormina. Einmal ist der Weg so steil, dass Susanne anmerkt, dass man sich gut auf dem Weg ablegen könnte. Die Versuchung ist groß, der Asphalt warm von der Mittagssonne – wir widerstehen. Unterwegs treffen wir eine lächelnde Opuntia und genießen die Ausblicke auf die Bucht von Naxos. AranciniMittags probieren wir eine sizilianische Spezialität: Arancini, frittierte Reisbällchen gefüllt mit Käse, Gemüse oder Ragout. Sie sind entweder rund oder konisch: hübsche kleine panierte Kegel. Köstlich. Isola BellaImmer wieder werfen wir sehnsüchtige Blicke hinunter zur Küste. Um dorthin zu gelangen, nimmt man die Seilbahn oder steigt Treppen hinab – viele Treppen. Die Seilbahn wird gerade saniert, also müssen wir laufen. Beim Abstieg wird uns ein wenig bange vor dem Rückweg, weil uns viele schnaufende Touristen entgegen kommen. "Wie weit noch nach oben", fragt uns einer, nach Luft schnappend, und stößt ein verzweifeltes "Oh Gott" aus, als wir den weiteren Aufstieg auf zwanzig Minuten schätzen. Der Aufstieg ist dann doch gar nicht so schlimm. Oh OpuntiaIch sage Ohrenkaktus, doch Susanne korrigiert mich: Das sind Opuntien. Als wir ein zweites Mal nach Castelmola hochlaufen, entdecken wir einen schmalen Weg, gesäumt von Blumen, Olivenbäumen und mannshohen Opuntien. Am Anfang fühlt sich unsere Auszeit noch ein wenig fremd an, wie ein zu großes Kleidungsstück, das man nicht ausfüllt. Wir brauchen noch ein bisschen, bis wir hineinpassen, bis wir einige der Strukturen vergessen und Gewohnheiten abgelegt haben, die unser Leben normalerweise bestimmen. Und so halten wir inne, kommen zur Ruhe – und "streuseln".
Heute ist der Tag der Tage: Heute beginnt unsere sechsmonatige Auszeit.
Lange haben wir überlegt, wie wir sie gestalten. Mit einem Camper durch Europa cruisen? Mehrere Monate am Stück in einem anderen Land leben? Per Flugzeug von Land zu Land hoppen? Die berühmte Qual der Wahl. Herausgekommen ist ein aktiver Mix, der viele unserer Wünsche erfüllt: Die ersten Wochen verbringen wir in Sizilien, nach dem langen grauen Hamburger Winter freuen wir uns auf Sonne, Meer und Cassata alla siciliana. Danach wollen wir drei Monate lang durch Europa radeln, zunächst von Hamburg an den Bodensee, anschließend über die Schweiz nach Frankreich. Wie wir zurückkommen, weiß gerade nur der E-Bike-Gott. Island steht natürlich auf dem Plan. Und noch vieles mehr, wir berichten in diesem Blog. Wir, das sind Uta und Susanne. Sechs Monate lang lassen wir unsere Jobs ruhen und wollen reisen, erleben, spüren. Uns einfach mal Zeit nehmen. Wir sind so gespannt! |
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Juli 2022
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