Sie schlecken den Schaum von der Milch, glotzen durch Fenster und erschrecken kleine Kinder, klauen Kerzen, knallen Türen zu und kratzen Pfannen und Töpfe aus. Sind alle Brüder bei uns angekommen, ist Weihnachten. Danach stiefeln die 13 kleinen Sadisten einer nach dem anderen zurück zu Mama in die Trollhöhle. Das dauert bis zum 13. Tag nach Weihnachten (6. Januar). Erst dann bin ich die Frühstückstrolle los. Stekkjarstaur (Schafschreck) macht den Anfang. Er ist der Älteste der Brüder und scharf auf Schafsmilch. Er schleicht sich in Ställe und versucht, die Schafe zu melken. Allerdings hat er aufgrund seines hohen Alters ziemlich steife Beine, und deswegen geht das mit dem Unters-Schaf-Beugen meistens schief. Stúfur ist der Knirps. Er liebt Kinder, und sie lieben ihn. Sie stellen ihm sogar Nachts einen Stuhl vor das Fenster, damit er ins Haus klettern kann. Stúfur kratzt am liebsten das Angebrannte aus Pfannen aus. Zwei üble Burschen: Þvörusleikir, der Löffellecker, und Pottasleikir, der Kesselkratzer. Die Brüder kommen am 15. und 16. Dezember. Þvörusleikir ist mager und ewig hungrig und leckt mit seiner langen Zunge Kochlöffel ab. Pottasleikir ist noch verfressener und seine Zunge noch länger. Mit der schleckt er sich hemmungslos durch Töpfe und Pfannen. Das ist Hurðaskellir, der Türenknaller. Nummer sieben macht sich einen Riesenspaß daraus, Menschen zu Tode zu erschrecken. Er schleicht sich an Häuser heran, pfeift sich ein Liedchen und knallt dann mit Wucht die Türen zu. Nach dem Türenknaller kommt Skyrgámur, der Gierige. Er macht sich über die Skyrvorräte im Haus her und frisst so lange, bis er fast platzt. Skyrgámur weiß, was gut ist: Skyr ist die isländische Variante von Quark, nur viel besser. Kertasníkir schnorrt Kerzen und ist mir, gleich nach kleinen Stúfur, der Liebste auf der aktuellen Milchpackung. Vielleicht, weil er er fast so aussieht wie ich am frühen Morgen.
2 Kommentare
Die Aussprache. Die Aussprache. Manchmal komme ich bei den einfachsten Wörtern ins Schwitzen.
An den Supermarktkassen in Island arbeiten viele Jugendliche. Sie verdienen sich in den Ferien oder am Wochenende etwas dazu. Sie sind schnell, kompetent und freundlich. Nur manchmal, wenn ich etwas Exotisches aus der Gemüseabteilung aufs Band lege, kommen sie ins Stocken. Bei Zitronengras zum Beispiel. Oder Auberginen: „Hvað heitir það?“ (Was heißt das?) Mitunter bin ich genauso ratlos, denn mir will partout nicht einfallen, was Aubergine auf Isländisch heißt (eggaldin). Gestern kaufte ich eine Knolle Fenchel. Ein Junge zog meine Einkäufe über das Band, hob die Fenchelknolle hoch, und ich seufzte innerlich. "Hvað heitir það?" "Það heitir fennel." Leerer Blick. "Ha!" (Wie bitte) Ich, unsicher – hatte ich es mit Englisch verwechselt, oder war fennel das Gewürz und nicht das Gemüse?: "Það heitir – fennel?" "Hvað sagðirðu?" (auch wie bitte) Ich, lauter, unsicherer: "Fennel! Það heitir fennel." "Ha!" "Það heitir fennel!", rief die Frau hinter mir ungeduldig. Sie sprach es genauso aus wie ich. Fand ich zumindest, doch jetzt leuchteten die Augen des Jungen auf. Er blätterte im Index seiner Gemüsefibel, fand Eintrag und Bild und tippte erleichtert die Nummer ein. Zu Hause legte ich den schlecht ausgesprochenen Fennel in den Kühlschrank, zog das kleine Schwarze an und ging zum Empfang des Deutschen Botschafters in Island. Anlass war der 25. Jahrestag des Mauerfalls. Sigmundur Davíð Gunnlaugsson, der isländische Premierminister, erzählte in seiner Rede von seiner Reise nach Ost-Berlin in den 1980er Jahren: Wie grau alles war und wie traurig die Menschen aussahen. Das gab mir einen Stich. Grau ja, aber waren wir wirklich alle so traurig? Später sang eine Sängerin die deutsche und isländische Nationalhymne, wir tranken deutschen Riesling, und ich war wieder ganz versöhnt und dachte, wie wunderbar es doch war, diesen Jahrestag in Reykjavík zu feiern. In other news: Letzte Woche wurde ich auf Facebook gebeten, an einem Schwarz-Weiß-Fotowettbewerb teilzunehmen. Nicht ganz regelgerecht entzog ich fünf Bildern die Farbe und erhöhte den Kontrast. Und das sind sie: In Island hängt vieles eng zusammen: Vulkanausbrüche, Kuhhäute und Sagas. Und Filme. „To write a saga, you must kill a cow“, erklärte kürzlich Benedikt Erlingsson, Regisseur von Hross í Oss, in seiner Dankesrede für den Nordischen Filmpreis. Er bezog sich damit auf die drastische Kürzung von Geldern für die isländische Filmindustrie. Hross í Oss ist übrigens schräg und wild und absolut sehenswert. Warum eine Kuh für eine Saga? Die Sagas wurden auf Kuhhäuten geschrieben. Um 1200, als die meisten niedergeschrieben wurden, gab es kein Papier in Island. Snorri Sturluson, Dichter, Historiker und Verfasser der Snorra-Edda, schrieb auf Kuhhäuten. Im Winter von 1227, der auch Sandvetur (Sandwinter) genannt wurde, hatte Snorri vermutlich sogar mehr Häute, als ihm lieb war. Im Jahr zuvor war vor Reykjanes ein Vulkan ausgebrochen, und es regnete so viel Asche, dass es an einigen Orten schon mittags dunkel wurde. Viele Kühe starben, auch einhundert von Sturla. Die Französische Revolution hat übrigens auch ihren Ursprung in Island: 1783 brachen die Lakikrater aus und führten zur größten Eruption in historischer Zeit. Drei Jahre lang zogen die Schwefelgase über Europa hinweg und verursachten Missernten und Hungersnöte. Vögel fielen tot vom Himmel, Pflanzen verwelkten, bis zu 10.000 Menschen starben. Soziale Unruhen brachen aus und – peng! – Französische Revolution. Der Vulkanausbruch in Holuhraun beschert uns auch gerade jede Menge Schwefelgase. Die sind nicht so giftig, dass Vögel vom Himmel fallen, aber ein bisschen unheimlich sind sie schon. Eine Schwefeldioxidwolke hing vor kurzem über Reykjavík und spendierte uns wunderschöne, gruselig-rote Sonnenuntergänge.
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Juli 2022
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