Berlin-Neukölln im Februar. Nieselregen, grauer Himmel, graue Häuser. Schön geht anders. Aber immerhin ist es eisfrei, es gibt Döner und Falafel und Nachts zieht mich meine Tochter durch lichtarme Kneipen, in denen coole Menschen Kette rauchen, und füttert mich mit Whiskey Sour.
Gleich um die Ecke ist auch das Tempelhofer Feld. Dort werde ich erstmal angeknurrt. Leinenloser, breitschultriger Hund senkt Kopf. Das ist ja was für mich. Ich überlebe; die Besitzerinnen pfeifen.
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Ich wollte schon immer mal was übers Laufen schreiben. Murakami hat’s getan. Ich bin nicht Murakami, klar, der ist ja auch ein Mann, aber laufen kann ich. Und schreiben, ein bisschen. Ich schwatze. Aber jetzt geht’s los. Ich laufe, und alles, was ich dafür brauche, sind gute Laufschuhe. Und Spikes im Winter. Den Kram darüber kann ich teuer kaufen, muss ich aber nicht. Nicht dass Missverständnisse aufkommen, ich ziehe schon was an, auch Socken. Aber ich brauche weder Laufuhr, Musik im Ohr noch Trinkgurt. Ich brauche keine Lauf-App. Ich brauche keine Hanteln. Ich brauche nicht einmal Gesellschaft. Laufen ist Meditation, Entspannung, Kopf leer machen. Laufen macht glücklich. Sehr. Laufen macht hungrig. Noch mehr. (Ich sag' nur Erdnussbutter.) Das Schöne am Laufen: man kann es überall. Wohin ich auch fahre, die Laufschuhe sind immer dabei. Und Laufen in Island ist großartig – wenn es nicht gerade stürmt oder fies von der Seite regnet. Wenn mir nicht der Hagel aufs Gesicht pfeffert oder die Gischt mich durchnässt, ich nicht vornübergebeugt gegen den Sturm ankämpfen muss oder von einer Windböe über das Eis gefegt werde (passiert). Oder ich nicht schnell hinter den Busch muss (und keinen finde, weil HIER GIBT ES KEINE VERDAMMTEN BÜSCHE).
Krýsuvík ist Trollgebiet. Das merkt auch der dickköpfigste Trollverleugner, der von Hafnarjörður über die Bergkuppe kommt und in die mysteriöse Landschaft hinein fährt. Spätestens in Seltún, wo es blubbert und brodelt und stinkt wie in einer Trollküche. Und dass es im Kleifarvatn ein Seeungeheuer gibt, glaubt man auch sofort. Im Moment friert sich das allerdings die Ungeheuerkrallen ab; der Kleifarvatn ist fast zugefroren. Jeder, der oberhalb des Sees anhält, macht dieses Foto. Kommt niemand drum herum, auch wir nicht. Als ich mich umdrehe, entdecke ich das Seeungeheuer. Da liegt es am Ufer, bewegungslos und pappesatt. Ganz klar hat es sich die Jeepfahrer inklusive Jeeps einverleibt, als die am Strand verbotenerweise Achten fuhren. Über Kleifarvatn gibt es Geschichten. In Arnaldur Indriðasons "Kältetod" taucht eine Leiche auf, als sich das Wasser des Sees unerwartet zurückzieht. Interessanterweise ist der Tote an ein russisches Sendegerät gekettet. Ich wette, das hängt mit dieser Geschichte zusammen: 1973 fanden die zwei Brüder Guðmundur und Ólafur russische Abhör- und Sendegeräte im See. Es wird vermutet, dass die Russen das Zeug dort entsorgten, nachdem sie bessere Spionagetechnik aus Moskau erhalten hatten. Wir fahren weiter nach Krýsuvíkurbjarg. Dort kommt man schon im Sommer schlecht hin. Also lassen wir das Auto in der Nähe der Straße stehen und stapfen durch den Schnee zu den Klippen. Zwar versinken wir mitunter bis zu den Knien, aber wie es sich lohnt. Einmal durchpusten lassen, Foto schießen und zurück.
Hab ich schon mal über Þrettándinn geschrieben? Macht nichts, schreib ich eben noch mal. So viel passiert halt nicht an einem Freelancer-Schreibtisch am 64. Breitengrad. Die Sache mit den Kühen und Seehunden hatte ich ja schon erwähnt. Þrettándinn heißt der 13. und ist, jawohl, der 13. Tag nach Weihnachten. Die Brenna, die großen Feuer am Strand, werden noch mal angezündet, die letzten Knaller abgefeuert, die Weihnachtsbäume im Feuer entsorgt, die Deko auf den Dachboden gepackt. Und auch der letzte der Jólasveinar, mein Freund Kertasníkir, verschwindet zurück in die Berge. Ein bisschen erinnerte mich die Atmosphäre heute Abend am Feuer an Geysir. Alle stehen hinter der Absperrung und schießen Fotos. Ab und zu sprühen Funken und dann kreischen die Mädels.
Þrettándinn war am 6. Januar. Aber wie so oft kam Sturm auf. Darauf ist man hier eingestellt und verschiebt flexibel. Deswegen war erst heute wirklich Schluss mit Weihnachten. Fährt man in Island aufs Land, muss man sich auf was gefasst machen. Am Silvestertag kamen wir in unserer Hütte im Süden an, erleichtert, dass wir trotz Glatteis, Schneesturm und gefühlter Einzentimetersicht nicht im Straßengraben gelandet waren. Wir kühlten den Sekt, warfen den Hotpot an und ignorierten den nächsten Schneesturm, der sich bereits anbahnte. Das Interessante an Schneesturm im heißen Topf sind ja übrigens die Frostblumen an den Sektgläsern. Wirklich schön - wenn man sie noch erkennt, that is. Als wir sie nicht mehr erkannten und uns die Haare tiefgefroren vom Kopf abstanden, als wir merkten, dass der Wellengang im Topf nicht von uns verursacht wurde, als der schwere Deckel des Topfs plötzlich fies quietschte und uns auf den Kopf zu fallen drohte und als unsere Bademäntel, die an der Hauswand hingen, abhoben und über unsere Köpfe hinweg flogen, gaben wir auf. Wir flüchteten und stießen in der Hütte auf das neue Jahr an. Da war sie noch warm, unsere Hütte. In den letzten zwei Tagen ist ein frischer halber Meter Schnee gefallen. Wir gehen in den Fahrspuren der Jeeps spazieren und wärmen uns das Gesicht in der tief stehenden Wintersonne. Seit gestern sind Heizung und Warmwasser in der Hütte perdü, der heiße Topf damit natürlich auch. Vorhin verbrachte ich eine Stunde damit, unser Auto auszugraben. Das wärmt auch. Der Hausmeister, den wir wiederholt anrufen, versichert uns, dass es unseren Nachbarn auch nicht besser geht. Ich habe bisher noch keine gesehen. Ich stelle den Backofen auf die höchste Umluftstufe, öffne die Backofentür und bemerke, dass es gerade wieder anfängt zu schneien. Wir nehmen es gelassen. Þetta reddast.
Ich wünsche euch ein schönes und warmes neues Jahr. |
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Juli 2022
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